Zum Ehegatten-Splitting

Allokation und horizontale Gerechtigkeit

von

Wilfried Fuhrmann

Zur Zitation: W. Fuhrmann, Zum Ehegatten-Splitting (auch Diskussionsbeitrag ISSN 1433-920X); in: www.Finanzwissenschaft.de; Nr.1, Stand. 1.6.1999).

I. Einführung[1]

In den Diskussionen zu einer Steuerreform in Deutschland wird stets die Frage nach Beibehaltung, Modifikation oder Abschaffung des sog. Ehegatten-Splittings gestellt. Auffällig ist dabei, daß es keine ökonomische Begründung für das Splitting gibt und zwar weder aus Überlegungen zur optimalen Faktorallokation noch zur sog. horizon-talen Gerechtigkeit.
Zum bessseren Verständnis erfolgt zunächst eine bewußt allgemeine Darstellung des ökonomischen Grundverständnisses. Anschließend werden verschiedene „partielle" Begründungen diskutiert und abschließend der Frage nach einer horizontalen Gerechtigkeit nachgegangen.

II. Zum ökonomischen Grundverständnis

Eine Volkswirtschaft, wie beispielsweise die norwegische oder die US-amerikanische, besteht aus einer Anzahl von mehreren Millionen einzelner Individuen bzw. Wirtschaftssubjekten, wobei die Wirtschaftssubjekte einzeln oder in Familien oder verschiedenen anderen Formen von Gemeinschaft leben [2]. Dabei ist weder die Volkswirtschaft noch das Aggregat private Haushalte die Summe über alle (standesamt-lichen) Ehen.
Jedes Individuum unterliegt dabei Knappheiten, beispielsweise in Form von Zeit-restriktionen, bestimmten Fähigkeiten und begrenzten Eigentumsrechten. Es kann beispielsweise nicht mehr ausgeben, als es an Einnahmen und Vermögen zur Ver-fügung hat. Und es ist durch seine individuellen Ziele bzw. seine Nutzenvorstellungen charakterisiert. Zur Erklärung der Verhaltensweisen eines (bzw. aller) fiktiv durchschnittlichen Wirtschaftssubjektes wird das theoretische Konzept des sog. homo oeconomicus verwendet [3]. Damit wird unterstellt, daß sich das Individuum als Wirtschaftssubjekt angesichts seiner Ziele und seiner Knappheiten ökonomisch rational verhält. Dieses bedeutet beispielsweise, daß es eine Verschwendung seiner knappen Mittel vermeiden und den Einsatz der Mittel möglichst effizient gestalten wird.

Es wird zwar bei der Betrachtung eines repräsentativen Wirtschaftssubjektes verein-fachend davon ausgegangen, daß alle Wirtschaftssubjekte die gleichen Nutzenvor-stellungen haben, aber es lassen sich problemlos unterschiedliche Gruppen von Wirt-schaftssubjekten mit unterschiedlichen Nutzenvorstellungen bilden und analysieren [4]. Das Konzept des homo oeconomicus unterstellt dabei beispielsweise nicht, daß sich ein Mensch (überhaupt oder) jederzeit vollkommen rational verhält [5].

Aber generell gilt, daß jedes Wirtschaftssubjekt durch Interaktionen wie Handel und Arbeitsteilung mit anderen Wirtschaftssubjekten seine Wohlfahrt, seinen Nutzen oder sein Einkommen und Vermögen erhöhen sowie maximieren kann. Vernachlässigt man einmal gesellschaftliche bzw. öffentlichen Güter, wie beispielsweise allgemeine Rechtssicherheit, so führt das Bemühen aller Wirtschaftssubjekte um ihre Einkom-mens- und Vermögensmaximierung auch zur maximalen gesellschaftlichen Wohl-fahrt, d.h. zur maximalen Wohlfahrt aller Mitglieder der Gesellschaft.

Darüber hinaus gilt, daß ein Wirtschaftssubjekt, welches über einen längeren Zeit-raum wie sein Leben gesehen, sein Vermögen „vertut", seine Fähigkeiten nicht ziel-gerichtet einsetzt oder seine Zeit „verplämpert", nur ein niedrigeres Nutzen- bzw. Wohlfahrtsniveau erreichen kann. Entsprechendes folgt für die Gesellschaft. Wenn einige Wirtschaftssubjekte ihr Vermögen vertun oder nicht arbeiten oder weit unter ihren Fähigkeiten arbeiten, dann hat dieses negative Auswirkungen auf die Wohlfahrt der Gesamtgesellschaft. Derartige Handlungsweisen können ökonomisch Fehlalloka-tionen darstellen mit der Folge gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverluste.

Es lassen sich zumindest zwei Formen derartiger Allokationen bzw. zwei Ursachen für eine Abweichung des tatsächlichen Wohlfahrtsniveaus von dem potentiellen bzw. dem gedanklich möglichen unterscheiden.
Zu dem ersten Fall führen alle individuellen Gründe wie Lustlosigkeit, Faulheit oder Abneigung bis Unwille zu ökonomisch sinnvollem Handeln. Das betreffende Wirt-schaftssubjekt trägt in Form von Einkommens- und Vermögensverlusten die direkten Folgen seines Handelns eigenverantwortlich (und es kann auch sein Nichts-Tun als positiv und nutzenstiftend betrachten, so daß keine Fehlallokation vorliegt). Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit des Handelns und der Freiheit derartiger Entscheidun-gen (solange damit keine materiellen Ansprüche auf Unterstützung oder dergleichen an einen anderen Menschen oder die Gesellschaft gestellt werden).
Zum zweiten Fall gehören politisch verursachte Gründe für letztlich „unökonomi-sche" Verhaltensweisen bzw. für einen in-effizienten Umgang mit knappen Ressour-cen. So entstehen Wohlfahrtsverluste und Fehlallokationen beispielsweise, wenn einer abgegrenzten Gruppe von Menschen wie beispielsweise Frauen oder Asylanten (oder früher den Juden) verboten wird, überhaupt oder nur in bestimmten Berufen und Tätigkeiten zu arbeiten. Derartige Verbote stellen politisch bedingte zusätzliche
Ressourcenrestriktionen bzw. -verluste dar und führen gleichzeitig zu einer Veränderung der Allokationsstruktur, d.h. der Verwendung aller anderen Ressourcen in einer Volkswirtschaft. Beides führt zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten [6].

Diese primären Wohlfahrtsverluste bleiben auch dann bestehen, wenn für die so vom Arbeitsmarkt bzw. als freie Wirtschaftssubjekte ausgeschlossenen Menschen dann über eine sog. Sozialpolitik eine steuerfinanzierte Sozialhilfe eingeführt wird; der negative Wohlfahrtseffekt des Arbeitsausschlusses kann dann infolge der Steuerbe-lastung der arbeitenden Wirtschaftssubjekte sogar noch steigen.

Aber es bedarf keines Verbotes für derartige politisch bedingte Wohlfahrtsverluste. Im Prinzip ergeben sich derartige Verluste schon bei der Einführung beispielsweise von bestimmten Unterhaltszahlungen oder Steuerbefreiungen. Dann werden viele Wirtschaftssubjekte rational erkennen, daß ein mühsam zu erzielendes Arbeitsein-kommen in Höhe der ansonsten ohne Arbeit erhaltbaren Unterhaltszahlung oder Steuerreduktion nicht erstrebenswert ist.

Dieses ist letztlich unbestritten. Der ökonomische Träger ist das einzelne Wirtschaftssubjekt und nicht eine gesetzlich abgegrenzte Gemeinschaft [7], unabhängig von dem u.a. gesellschafts-, geschichts- und kulturellbedingten Zusammenleben vieler Menschen einer Gesellschaft in Form einer monogamen Ehe [8].

Damit ist das Splitting aus wirtschaftsindividueller Sicht zu betrachten bzw. zu begründen. Und hier zeigt sich das Fehlen eines harten ökonomischen Argumentes, wobei es durchaus verschiedene ökonomische Begründungsversuche gibt.

III. Einige partielle Erklärungen für das Splitting

Es folgen zunächst sechs (ausgewählte) Erklärungen für das Ehegatten-Splitting.

1.
Ein häufig vorgebrachtes Argument verweist auf Kinder. Aber das Splitting berück-sichtigt gar keine Kinder und die herrschende Form des Ehegatten-Splittings bezieht sich weder auf ein Kind noch die Anzahl der Kinder noch die Intention dazu.

Läge das Ziel in der Schaffung einer stabilen Elternstruktur für die Zeugung und Erziehung von Kindern und dergestalt im öffentlichen Interesse liegen, so wäre das Splitting nur für den Fall von Kindern zuzulassen, nicht aber auch zeitlebens für kinderlose Paare; es wäre zeitlich zu begrenzen und evtl. mit Höchstgrenzen auszustatten [9].

2.
Der gewährte Splitting-Vorteil wird als Ausgleichszahlung dafür angesehen, daß das (weiterhin) arbeitende Wirtschaftssubjekt durch die Ehe der Gesellschaft einen Teil der Vorsorge für den (evtl. nicht mehr arbeitenden) Partner abgenommen hat. Dieser könnte ansonsten arbeitslos werden und wäre dann mit Sozialhilfe seitens der Gesell-schaft zu sichern (das vorgehende Arbeitslosengeld folgt aus einer erbrachten Bei-tragszahlung zu einer relationalen Versicherung mit Umlageaspekten und ist keine staatliche Zahlung).

Läge das Ziel in diesem Ausgleich, worauf sich das existierende Splitting allerdings nicht bezieht, dann müßte der gewährte Steuervorteil allerdings entweder in jedem Falle gleich hoch sein oder aber er ist an der zuvor ausgeübten Tätigkeit, der Wahr-scheinlichkeit einer dauerhaften Arbeitslosigkeit und den dann zu erwartenden Sozialleistungen auszurichten. Die Höhe des Splitting-Vorteils darf nicht von der Steuerkraft des finanziell stärkeren Partners abhängen.
Außerdem müßte er dann fall- und geschlechtsneutral sein und in jedem Falle einer derartigen freiwilligen Verpflichtung gewährt werden. Er hätte nicht nur für hetero-sexuelle Paare zu gelten, sondern auch für homosexuelle, d.h. zur Verdeutlichung auch für sog. Lesben und Schwule. Die staatliche Ehe stellt nur eine Möglichkeit neben vielen anderen Formen durchaus staatlich zu registrierender Partnerschaften dar [10].

3.
Der gewährte Splitting-Vorteil wird als eine Art von Prämie (oder Rente) zum Abbau der Arbeitslosigkeit gesehen. Dann wäre das Splitting ein wirtschaftspolitisches In-strument zur Reduktion eines Arbeitsangebotsüberschusses (z.T. auch zur Schaffung bzw. Stärkung einer Art von zweiten Arbeitsmarkt für „verheiratete Hausarbeit": die Haushaltsproduktion), so daß der, der aus dem Beruf (ganz oder teilweise) ausscheidet und heiratet, diese Prämie bekommt.

Eine derartige Intention rechtfertigt kein Splitting bei sog. Doppelverdienern [11]. Das Splitting hätte differenziert nach den einzelnen Arbeitsmarktsituationen zu erfolgen. Es dürfte nicht im Falle offener Stellen (für das freiwillig arbeitslose „verheiratete" Humankapital) gewährt werden. Es wäre nur periodenweise bzw. temporär zu ge-währen, d.h. nur dann bzw. solange, wie „verheiratetes" Humankapital nicht obsolet ist. Ein derartiges System ist bereits technisch kaum zu gestalten.

Der ökonomische Widersinn dieser Begründung steigt noch, wenn die Ehe infolge des Splittings als dauerhafte Alternative zu Ausbildung, Umschulung usw. gesehen wird.

4.
Der Splitting-Vorteil wird (sogar bewußt in Verbindung mit der Progression) als Entgelt für einen positiven externen Effekt gesehen. Dieser könnte in der Reduktion der allgemeinen Unsicherheit über bzw. den Suchkosten für die effizienteste Form des Haushaltes liegen.

Ein derartiger dauerhafter externer Effekt, der eine lebenslange regelmäßige Zahlung begründen soll, ist erst zu identifizieren und zu quantifizieren. Ein allgemeiner Hinweis auf Externalitäten oder den wertkonservierenden Ansatz überzeugt ebenso wenig wie der Versuch, mit diesem Splitting-Vorteil eine traditionelle Form des Zusammenlebens oder die Ehe zu schützen [12]. Dann müßte dieses Lebensmodell jedem nicht gleichgestellten anderen Lebensmodell gegenüber superior sein (beispiels-weise bezüglich der gesamtwirtschaftlichen Flexibilität und der dynamischen Stabili-tät einer offenen, sich entnationalisierenden und globalisierenden Gesellschaft) [13].

5.
Der Splitting-Vorteil wird als ökonomischer Anreiz zur Förderung der Arbeitsteilung in der Ehe verstanden.


Auch dieses Argument geht fehl. Zwar mag faktisch der weniger verdienende Ehepartner seine offizielle Arbeit zugunsten der Haushaltsproduktion (bzw. Tätigkeit in der Familie) reduzieren und der besser verdienende sich entgegengesetzt verhalten [14].
Aber eine derartige Arbeitsteilung und Zusammenarbeit kann auch mit individuellen Verträgen zwischen zwei Wirtschaftssubjekten vereinbart werden. Dabei würden sich beide nach den Markt- und Wettbewerbsbedingungen richten und keiner der Betei-ligten würde (wie aber häufig in der Ehe) seine Humankapitalentwicklung vernach-lässigen.
Infolge einer traditionellen Rollenverteilung mit einer häufig geringeren Ausbildung der Frau wirkt das Splitting geschlechtsspezifisch und belastet die Frau mit dem Risiko aus dem Scheitern dieser Ehe bzw. ehelichen Arbeitsteilung.
Die so mit dem Splitting geförderte Asymmetrie wirkt dann allokationsverzerrend, wenn infolge des Splitting-Vorteils die Eheschließung und dann diese Form der Arbeitsteilung erfolgt bzw. wenn zum Splitting eine Informations- oder Verhaltens-asymmetrie zwischen den Ehepartnern kommt.

6.
Das Splitting-Verfahren wird damit gerechtfertigt, daß es seit langem existiert.

Entscheidungen, die vor Jahren aufgrund dieser Regelung getroffen wurden, können durch die Abschaffung des Splittings zeitinkonsistent werden, ohne daß sie wegen des inzwischen eingetretenen Verlustes an Humankapitals (und der Irreversibilität des Lebens) revidiert werden können.

Sicherheit über die Stabilität verschiedener langfristiger Rahmen- bzw. Planungsbedingungen, insbesondere Haushaltsformen ist für eine intertemporale Allokationseffizienz und gesellschaftliche Wohlfahrtsmaximierung (und -sicherung) notwendig. Jede das Humankapital betreffende steigende Steuerrechtsunsicherheit ist wohlfahrtsmindernd [15].
Selbst eine als ökonomisch falsch erkannte Maßnahme kann nicht stets und jeweils vollkommen bzw. unmittelbar aufgehoben werden. Das Splitting ist so für „Alt- Ehen" im Prinzip beizubehalten, aber bei Neuschließungen (unabhängig vom Alter der Partner) nicht mehr zu gewähren [16].
Eine Einheitlichkeit des Steuerrechtes läßt sich dann dadurch erreichen, daß die Einbußen einer Abschaffung des Splittings für Alt-Ehen abzuschätzen und zu kapitalisieren sind (Auszahlung oder Einkauf in eine Rentenversicherung).

IV. Zur horizontalen Gerechtigkeit

- Einige Rechenbeispiele

Die schönsten Begründungen für das Splitting bieten Ökonomen dann, wenn sie mit Bezug auf die Gerechtigkeit argumentieren. So wird das Splitting als notwendig und als Garant der horizontaler Gerechtigkeit erklärt. Dazu einige Beispiele:

Ausgangs-Beispiel: Zwei nicht verheiratete Wirtschaftssubjekte A1 und B1 arbeiten beide und zahlen mit jeweils einem Einkommen von 50 Tsd. DM je DM 11.063,- Steuern. Es bleiben ihnen jeweils DM 38.937,- bzw. „zusammen" DM 77.874,- .

Es gibt die mit A1 und B1 identischen Wirtschaftssubjekte A2, A3 und A4 sowie B2. Außerdem gibt es D1 (D2) mit einem Brutto-Einkommen von DM 100 ( 200 ) Tsd. und bei Steuerzahlung von DM 30.743,- (73.137,-) einem Netto-Einkommen von DM 69.257,- (126.863,-).

Es werden mehrere „Haushaltsmodelle" betrachtet:
Erstens:
A2 und B2 heiraten, A2 hört auf zu arbeiten, das „Familien-Einkommen" beträgt 50 Tsd. DM, durch das Splitting zahlen sie zusammen DM 6.942,- Steuern; es verblei-ben insgesamt DM 43.058,- bzw. „jeweils" DM 21.529,-.

Zweitens: A3 und D1 heiraten; A3 hört auf zu arbeiten; das „Hauhalts-Einkommen" beträgt wie im Basis-Beispiel DM 77. 874 (= 100.000 - 22.126,-), das Pro-Kopf-Einkommen 38.937,-.
A3 und D1 haben genausoviel wie A1 und B1. Kann dieses einen Fall horizontaler Gerechtigkeit darstellen, nur weil in beiden Fällen (A1 und B1 sowie A3 und D1) das rechnerische Pro-Kopf-Einkommen gleich ist? Schließlich arbeitet A1, während A3 eventuell „ausschläft", Sonderangebote wahrnimmt, das Haus bereitet und sich für D1 „pflegt"? Und dabei wird die Arbeit von A3 nicht als ein Einkommen in Höhe der mit Marktpreisen zu bewertende Tätigkeit erfaßt und weder in die gemeinsame Steuerberechnung einbezogen noch als Konsum von D1 betrachtet und von der Steuervergünstigung wieder abgezogen.

Wollte B1 derartige Dienstleistungen, Tätigkeiten und Annehmlichkeiten haben, müßte B1 diese zum Marktpreis (mit MWSt) aus seinem Nettoeinkommen erwerben (Putz-, Wäsche-, Einkaufshilfe usw.). Ohne „Splitting" sind derartige von A3 durch-geführte Arbeiten für B1 einfacher Konsum oder bei Selbsterstellung Freizeitge-staltung.
Dabei hat A3 rechnerisch im Vergleich zum Ledigen-Status auf netto keine Mark verzichtet. D1 hat entweder auf netto DM 30.320,- verzichtet oder in diesem Wert Arbeit von A3 gekauft (steuerbegünstigt). Der Rest der Gesellschaft verliert den entgangenen Steuerbeitrag in Höhe von DM 19.080,- ; dieser muß umgelegt und von den nicht durch das Splitting begünstigten Wirtschaftssubjekten getragen werden (sofern die mit den Steuereinnahmen finanzierten öffentlichen Güter oder Leistungen nicht reduziert werden).

Drittens: A4 heiratet D2; A4 beendet die Arbeit. Es beträgt das „Haushalts-Einkommen" DM 158.532,- ( = 200.000 - 61.468,-) bzw. das rechnerische Pro-Kopf-Einkommen DM 79.266,-.
A4 hat rechnerisch ein höheres Einkommen als bei eigener Arbeit. Dem Rest der Gesellschaft entgehen Steuereinnahmen in Höhe von 22.714,- DM [17].

- Wessen „Horizontale"?

Die Feststellung einer horizontalen Gerechtigkeit hat zwei Voraussetzungen: die Vergleichbarkeit der Tatbestände und ein Maß für Gerechtigkeit.
Es herrscht horizontale Gerechtigkeit in der Ausgangssituation zwischen den voll-kommen gleich ausgebildeten und ausgestatteten Wirtschaftssubjekten A1 und A2 und A3 und A4. Zwischen Wirtschaftssubjekten herrscht horizontale Gerechtigkeit. Nur in einer Welt ausschließlich mit Ehepaaren genügt ein Vergleich zwischen Verheirateten (die in Folge des jüngsten Urteiles des Bundesverfassungsgerichtes häufig getroffene Feststellung, daß, wenn die Steuerprogression und wenn das Splitting gerechtfertigt sind, das Splitting unabhängig von der Höhe des Gesamtein-kommens und unabhängig von der Arbeitsteilung in der Ehe auch gerechtfertigt ist, erscheint trivial). Die Vergleichsproblematik angesichts der steuerlich unterschied-lichen Behandlung von (2-Personen-) Ehe-Haushalten, Single- sowie nicht-anerkann-ten Partnerschafts-Haushalten wird nicht durch die Steuerprogression bedingt, aber verdeutlicht und verschärft.

So sagt das zweite Beispiel wenig über horizontale Gerechtigkeit aus. Es zeigt etwas ganz anderes. a. Das Splitting macht die Eheschließung für das Wirtschaftssubjekt Typ A zu einer Investitions- und Arbeitsangebots-Entscheidung:
Für Typ A sind die Ehe (A3) und die bezahlte Arbeit (A1) zwei Alternativen, die zum selben Ertrag führen. Dieser Fall stellt die Indifferenzsituation dar. Wenn dieser Fall ein Gleichgewicht zwischen diesem Arbeitsmarktsegment und der Tätigkeit in der Ehe ist, dann zeigt er zugleich, daß die unterschiedliche Bewertung dieser Tätig-keiten von A2, A3 und A4 ökonomisch ein Ungleichgewicht darstellt (und von ihnen wohl eher nicht als horizontal gerecht zwischen ihnen empfunden wird). Typ A wird auf diese Ungleichgewichte ökonomisch reagieren, so daß das Ehe-Partnerangebot für noch mehr (weniger) Verdienende steigt (sinkt). Verbunden damit steigen alle Aktivitäten, die die Chancen bei potentiellen Partnern im „oberen" Einkommensseg-ment erhöhen.

b. Das Splitting macht die Eheschließung (und die eheinterne Arbeitsteilung) für die Wirtschaftssubjekte vom Nicht-A Typ (also B1, B2, D1 und D2) zu einer Konsum-entscheidung. Soll das für die horizontale Gerechtigkeit häufig bemühte zweite Beispiel auch hier die Indifferenzsituation bzw. das Gleichgewicht zwischen Markt-kauf und Ehe darstellen, so wirkt die Einkommensabhängigkeit des Splittingertrages auf das Verhalten dieser Wirtschaftssubjekte, in dem beide abweichenden Fälle (Typ B2 und D2) den Marktkauf präferieren.

c. Das Splitting verletzt die horizontale bzw. individuelle Gleichbehandlung aller Wirt-schaftssubjekte durch den Staat bzw. die Steuerbehörde. Die Ehe wird beispielsweise mit DM 32.732,- oder DM 19.080,- oder DM 15.184 steuerlich honoriert bzw. die infolge einer Ehe erwarteten positiven externen Effekte werden willkürlich unter-schiedlich bewertet. Die Progression verdeutlicht, daß auch bei einem Vergleich ausschließlich über Ehepaare bei individueller Zurechnung eine Art von horizontaler Gerechtigkeit sich nur zwischen den jeweils mehr verdienenden Partnern ergibt.

Die verwendeten Zahlenbeipiele folgen aus dem Splitting, der Steuerprogression und der Arbeitsaufgabe durch das Wirtschaftssubjekt vom Typ A. Aber die Betrachtung als Investitions- und Konsumgut sowie des externen Effektes ändern sich nicht in der Richtung, selbst wenn stets beide arbeiten. Dann wird ein Struktureffekt offensicht-lich: Das Splitting führt dazu, daß das Pro-Kopf-Einkommen so groß wie jenes von A1 und B1 ist, wenn das „verheiratete" Einkommen dem Bruttoeinkommen von A1 und B1 entspricht. Dabei ist es unerheblich, ob es (DM) 50 plus 50 oder 20 plus 80 oder 0 plus 100 sind. Da die Struktur unbedeutend ist, ist ein rechnerisches gleich großes Pro-Kopf-Nettoeinkommen über zwei Personen bei einem gleich hohen „zu-sammengefaßten" Bruttoeinkommen gerade kein Ausdruck einer horizontalen Gerechtigkeit bzw. Gleichbehandlung. Die Steuer setzt nicht an der Leistungsfähig-keit (Begründung der Progression) bzw. dem Beitrag jedes einzelnen Wirtschaftssub-jektes zur gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt an. Diese Form des Splitting führt zu einer Verzerrung der Allokation und damit zu einer gesamtwirtschaftlichen Wohl-fahrtsminderung.

V. Ausblick

Es scheint keine ökonomische Begründung für das Ehegatten-Splitting zu geben. Dann aber führt das Splitting führt zu einer Verzerrung sowie Reduktion der Allokationseffizienz und garantiert dann auch keine horizontale Gerechtigkeit zwischen Wirtschaftssubjekten.

Es stellt sich auch die Frage, ob das Splitting im Interesse des weniger verdienenden Partners bzw. der noch häufig schlechter ausgebildeten und weniger verdienenden Frau liegt und ob es für „Ehe und Familie" effektiv einem besonderen Schutz seitens der staatlichen Ordnung entspricht. Es mag eine Art von Schutz vor materieller Not, bereits alleine für die Ehe, darstellen. Aber das Splitting persistiert u.U. gleichzeitig eine, an der geschlechtlichen Einkommensverteilung gemessene, Ungleichkeit, dadurch eine materielle Abhängigkeit und infolge dessen (später) erst materielle Schwierigkeiten. Es setzt u.U. falsche Preissignale und aus- sowie fort- bildungsab-trägliche Anreize. Angesichts des in Deutschland und EU-weit steigenden Anteils außerehelich Geborener verliert das Splitting auch als Hilfsmaßnahme zum Schutz von Ehe und „Familie" an Bedeutung und wohl auch Berechtigung.

Nicht analysiert wurde, ob das Splitting evtl. als ein polit-ökonomischer Tatbestand zu verstehen ist.
So scheint häufig im politischen Wettbewerb für einen Politiker eine bestehende Ehe im Gegensatz zu einer unehelichen Gemeinschaft als Ausdruck von Seriosität und Verantwortungsbewußtsein zu gelten. Dann erhöht sie die Wahlchancen des ver-heirateten (oder zu heiraten versprechenden) Politikers. Dabei sind evtl. durch bewußt gestaltete Eheverträge eine evtl. Scheidung der staatlichen Ehe und eine wiederholte erneute Eheschließung individuell kalkulierbar und mit relativ niedrigen Kosten gestaltbar. Dieses wäre aber ebenso zu untersuchen, wie der Grad der dies-bezüglichen Glaubwürdigkeit einer staatlichen Ehe (evtl. im Gegensatz zu bestimmten kirchlichen Ehen) als Selbstbindung bzw. als Commitment.

Daneben erscheint es aber als möglich, daß die Abschaffung des Splittings Auswirkungen auf die Wiederwahlchancen der entsprechend agierenden Regierung hat. Dieses Moment könnte ebenso eine Erklärung für die Beibehaltung des Splittings sein [18].

(Autor: Prof. Dr. Wilfried Fuhrmann, Univ. Potsdam, Institut für Makroökonomik, A.-Bebel-Str. 89, D-14482 Potsdam, Fax: +49-(0)331-9773223, email: fuhrmann@rz.uni-potsdam.de)

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(1) Der Verfasser dankt für viele Anregungen und kritische Kommentare Herrn Prof. Dr. H.-G. Petersen, Herrn Dr. Habil. H.-P. Weikard sowie den Herrn Dipl.-Volkswirten Cyrus de la Rubia und Christhart Bork.
(2) Auf die Diskussion, ob die Grundeinheit einer Volkswirtschaft das Individuum ist (wie hier vertreten) oder „die" Familie sei hingewiesen. Allerdings ist der Begriff Haushalt nicht synonym mit Familie; es gibt Ein- und Mehrpersonenhaushalte. Ein als eine Wirtschaftseinheit gegründeter und geführter Mehrpersonenhaushalt ist natürlich gekennzeichnet durch Arbeitsteilung, Spezialisierung usw. Bzw. Eine Interessenabstimmung aller Individuen in dem Haushalt; er ist damit aber schon das Ergebnis ökonomischer Entscheidungen von Individuen. Der Hinweis, daß bei dieser Abstimmung Reziprozitätsnormen gelten und nicht die Marktäquivalenz verliert mit steigendem Definitionsgrad.
(3) Es gibt eine Vielzahl von Abhandlungen zu diesem Konzept des homo oeconomicus. Vgl. U.a. G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, Tübingen 1991. Vgl. Zum Problem der Knappheit u.a. M. Borchert, Worauf es ankommt, in: Forschung und Lehre, 1998, Heft 1, S. 21-23.
(4) Wer beispielsweise von geschlechtsspezifischen Ziel- bzw. Nutzenvorstellungen ausgeht, der kann die beiden entsprechenden Gruppen bilden und die jeweiligen typischen Verhaltensweisen ableiten. Vergleichbares gilt im Falle von Typisierungen beispielsweise nach Altersgruppen, Ausbildungsniveaus, ausgeübten Tätigkeiten, Religionszugehörigkeiten usw.. Derartige Gruppenbildungen können aber bei identischen Zielvorstellungen auch erfolgen, wenn die Restriktionen signifikant u.a. Alters- oder geschlechts- oder ausbildungsspezifisch sind. Das Konzept des homo oeconomicus unterstellt nicht, daß es beispielsweise eine geschlechtsspezifische Form der Logik und Rationalität gibt.
(5) Vgl. U.a. W. Von Zameck, Ökonomische Theorie der Frau - Eine mikroökonomische Analyse von Markt- und Nichtmarktentscheidungen, Berlin 1997.
(6) In diesem Sinne vgl. Zur Diskriminierung u.a. G. S. Becker, Ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen 1992.
(7) Der Ausdruck „Gemeinschaft" soll mögliche Verwirrungen vermeiden, die dadurch entstehen, daß im deutschen Recht unterschiedliche Bezugseinheiten gelten: beim Ehegatten-Splitting die Ehe, bei der Sozialhilfe das Haushaltsprinzip (ohne Bezug zur Rechtsform Ehe), bei der Sozialversicherung das Familienprinzip und im BGB bei der Unterhaltsverpflichtung der Verwandtschaftsgrad (unter Erweiterung auch auf nichteheliche Kinder). Darüber hinaus ist der Begriff „Familie" schon deshalb unscharf, da es „Familien" schon vor Schaffung der „Gesetzlichkeit" gab und in gleichzeitig existierenden unterschiedlichen Formen.
(8) Der gemeinsame Haushalt von einer Frau und einem Mann selbst ist hier als Ausdruck einer ökonomischen Entscheidung, d.h. Einer jeweiligen Nutzen-Kosten-Überlegung zu verstehen. Er wird gegründet, wenn diese Form effizienter ist als der jeweils singuläre Haushalt oder ein Haushalt mit einer Frau (oder n-Frauen) und n-Männern (und einem Mann). Dieses beinhaltet neben dem Produktions- auch den individuellen Reproduktionsaspekt. Die besondere steuerliche Belastung/Entlastung einer bestimmten Haushaltsform ist dann als eine Allokationsverzerrung und ein gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust zu verstehen. Dieses gilt im Falle einer Steuervergünstigung auch bei der Förderung der Ehe selbst dann, wenn beide Partner dann getrennt leben und entscheiden.
(9) Mit einem sog. Familiensplitting könnte man versuchen, das Splitting nur für den Haushaltsfall (unabhängig von der Haushaltsgröße und dem Ehestatus) zu akzeptieren. Dann aber ist eine Art von direkter Förderung des einzelnen Kindes. Dann werden auch Progressionsprobleme vermieden, solange man u.a. Aus anderen Überlegungen keine sog. Flattax einführt.
(10) Hier ist der Ausgangspunkt ein Haushaltskonzept und keine Ehekonzept (es bedarf nicht nur eines Haushaltes) oder Familienkonzept (es bedarf nicht nur eines Haushaltes und nicht zumindest eines Kindes oder weiterer Angehöriger). Es geht bei dem Argument nicht um „Kinder" bzw. Einen „reproduktiven" Haushalt - unabhängig davon, dass in der EU ca. 50 % der Neugeborenen nicht-ehelich sind, ist das Argument einer nur im Falle von Ehen gesicherten (oder gegebenenfalls zu sichernden) „Reproduktionseinheit" rein normativ.
(11) Bei identischen Markteinkommen genießen sog. Doppelverdiener den Splittingvorteil nicht; vgl. Weiter unten; sie haben aber allein durch die Existenz des Splittingansatzes Vorteile in Form einer Gestaltungsmöglichkeit sowie einer gegenseitigen Risikobegrenzung.
(12) Hier erfolgt i.d.R. Der Hinweis auf Art 6 Abs. 1 GG („Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung").
Es geht im GG (nicht aber hier) auch um die Frage nach der Sittenwidrigkeit bestimmter Eheverträge (beispielsweise die Vereinbarung von Gütertrennung sowie den Verzicht auf Unterhaltszahlungen im Falle der Scheidung und gleichzeitig den Ausschluß des Versorgungsausgleichs - insbesondere wenn mit großer Wahrscheinlichkeit bei Eheschließung vorhersehbar ist, daß der Ehepartner voraussichtlich keine Versorgungsanwartschaft erwerben wird (sog. Hausfrauen-Ehe)).
Hier geht es um den Gegensatz der Grundprinzipien, d.h. Dem Individualprinzip in der Ökonomik und dem (früheren) Familienprinzip im Steuerrecht mit Ehegatten-Splitting. Allerdings erscheint heute selbst bei Akzeptanz eines Familienprinzips das Splitting als eine Art von Relikt eines nicht mehr verfolgten, eigentlich umfassenderen normativen Ansatzes. Dieser beinhaltete auch ein i.d.R. Durch den Ehemann (oder auch gemeinsam) optimiertes Arbeitsangebot der Wirtschaftseinheit Familie einschließlich der Aufteilung der Arbeit innerhalb der „Unternehmung" Familie sowie gegenüber dem Arbeitsmarkt, einschließlich einer (nicht mehr bestehenden) gesetzlichen Fixierung, daß die Ehefrau ohne seine Zustimmung keine (Lohn-) Arbeit aufnehmen darf bzw. Daß er einem entsprechenden Arbeitsvertrag zustimmen muß und seine Nichtzustimmung die Ungültigkeit des Vertrages bewirkt.
(13) Dabei ist es durchaus möglich, daß (zumindest in der Integrationsphase) die Entnationalisierung verstärkt zu familiären Gemeinschaften führt, wenn sie dann leichter erträglich ist - es ist wiederum die ökonomische Entscheidung von Wirtschaftssubjekten und keine Begründung für ein Splitting.
(14) In Folge dieses Splittings-Effektes bedarf es dann natürlich u.a. Ausgleichs-, Zugewinns- und Unterhaltsregelungen (u.a. Ausgerichtet am gewohnten kulturellen Standard usw.), Dem folgen dann wieder individuelle Eheverträge mit der Folge von Sittenwidrigkeitsprüfungen usw.. Es herrscht eine Gesetz der kumulativen „Familienintervention".
(15) Dies gilt auch beispielsweise für das (nachträgliche) Streichen der Anrechnung von Studienzeiten in der Rentenversicherung oder die Herabsetzung von zu erfüllenden Anforderungen für bestimmte Berufe und Tätigkeiten.
(16) Es besteht kein konkret verfassungsrechtliches Gebot einer Konstanz des Steuerrechts und es hat in Deutschland auch schon erhebliche Veränderungen gegeben. Gleichwohl stellen derartige Eingriffe in Lebensentscheidungen eine Art von Zeitinkonsistenz der Wirtschaftspolitik dar und sind ökonomisch kontraproduktiv, da sie u.a. Langfristige Investitionen (Bildung, Humankapital, relationale Gemein-schaftsverträge usw.) Behindern und einem verfassungsrechlichen Gebot in Form eines Schutzes durch die staatliche „Ordnung" gerade nicht entsprechen.
(17) Die Steuerersparnis von D2 beträgt 11.651,-. In einem Grenzfall der Ehe von D3 mit DM 500 Tsd. Bruttoeinkommen (bei 242.150,- Steuern nach der Grundtabelle) und D4 (zuvor mit einem Brutto- (Netto-) Einkommen von DM 26.891,- (22.870,-) bei Steuern von 4.021,-) kompensiert die Steuerersparnis von D3 genau den Netto-Einkommensausfall von D4.
(18) Dann scheint hier ein vergleichbares Muster wie bei Subventionen zu existieren. So wie Ökonomen allgemein die Streichung von Subventionen fordern und dieses z.T. Am gezielten Lobbying der kon-kret betroffenen Unternehmen häufig scheitert, so scheitert möglicherweise das Streichen des Splitting-Vorteiles am Lobbying und befürchteten Wahlverhalten der verheirateten Wirtschafts-subjekte (natürlich einschl. Der verheirateten Ökonomen).